Neben medizinischem Wissen benötigen angehende Ärztinnen und Ärzte auch viele praktische Fertigkeiten. Um die zu schulen, nutzen Medizinstudierende und Auszubildende in Gesundheitsberufen am Uniklinikum Erlangen das Übungszentrum PERLE und ein spannendes Lehrkonzept.

Gebannt blickt die Medizinstudentin auf die schwarz-weiße Mondlandschaft auf dem Monitor des Ultraschallgeräts. „Wo ist denn jetzt die Hohlvene“, murmelt sie ratlos vor sich hin. Immer wieder fährt ihre rechte Hand mit dem Schallkopf über die Bauchdecke der Kommilitonin auf der Liege neben ihr, die fasziniert die eigene Organlandschaft betrachtet. „Einmal komplett die Leber schallen“, heißt die Arbeitsaufgabe im zweieinhalbstündigen Praxiskurs „Sonografie für Anfänger/-innen“, der an diesem Abend erstmals im Skills Lab PERLE des Uniklinikums Erlangen angeboten wird.

Von Nähen bis Röntgen

PERLE steht für „Praxis Erfahren und Lernen“: Medizinstudierende finden in dem medizinischen Trainingszentrum ab dem ersten Semester vom chirurgischen Nahtkurs über körperliche Untersuchungen aller Art bis hin zur Auswertung von Röntgenbildern ein vielfältiges Angebot an praktischen Anwendungen. „Seit 2015 bieten wir zusätzlich Kurse im curricularen Rahmen der klinischen Praktika an“, berichtet Dr. Anita Schmidt, seit 2012 ärztliche Leiterin der PERLE. Sie war es auch, die vor 18 Jahren die Initialzündung dafür gab, das Praxiskonzept einzuführen. Spannend daran ist: Viele Kurse laufen über die Methode des kooperativen Lernens mit Tutorinnen und Tutoren – „Tutories“, wie Dr. Schmidt sie gendergerecht nennt: Medizinstudierende ab dem fünften Semester, die die meisten PERLE-Kurse leiten und inhaltlich konzipieren. Den neuen Sonografiekurs haben Katharina Kramer und Max Ploss entwickelt. „Ihr erlebt heute Abend unsere Premiere“, erklärt die Tutorin lachend. „Zuvor werden die Inhalte der Kurse fachärztlich geprüft und im Anschluss evaluiert“, erläutert Anita Schmidt, die aktuell 42 Medizinstudierende als Tutories koordiniert. „Die PERLE ist meine Herzensangelegenheit“, sagt sie.

„Nimm mehr Gel, dann ist das Bild klarer“, hilft Tutorin Hannah Kaletta der ratlosen Studentin vor dem Monitor. Unter ihren ermunternden Hinweisen setzt die junge Frau den Schallkopf neu auf dem Bauch ihrer Kommilitonin an. „Der weiße Nubbel muss nach vorne zeigen, dann hältst du ihn richtig“, empfiehlt die Tutorin und korrigiert vorsichtig die Ausrichtung des Schallkopfes. „Ist das cool. Jetzt sehe ich den Leberstern auch“, ertönt prompt das erleichterte Feedback. „Schallen lernt ihr am besten beim Schallen“, erklärt Hannah den anwesenden Studierenden. „Deshalb nutzt jede Gelegenheit, einen Schallkopf in die Hand zu nehmen.“

Hohe Nachfrage

Waren es 2012 gerade mal 15 verschiedene Praxiskurse, die Medizinstudierende im Trainingszentrum besuchen konnten, ist deren Anzahl im Wintersemester 2023/24 auf 112 gestiegen. Zusätzlich öffnet die PERLE ihre Räume regelmäßig für ein „Freies Üben“. Auch das „Freie Schallen“ wird angeboten. „Wir orientieren uns am Bedarf der Studierenden“, erklärt Dr. Schmidt. „Vor jedem Semester gibt es ein dreitägiges Arbeitstreffen für die Tutories; während des Semesters besprechen wir uns alle drei Wochen.“ Neu dabei als Tutorin im PERLE-Team ist Nina Schönhals. Die 21-Jährige studiert Medizin im sechsten Semester und nahm bereits an mehreren PERLE-Kursen teil: „Vor allem das Ausprobieren praktischer Fertigkeiten hat mich weitergebracht – zum Beispiel das chirurgische Nähen. Diese wertvollen Erfahrungen möchte ich anderen Studierenden auch mitgeben, zumal wir Tutories vom Vorbereiten eines Kurses auch selbst profitieren.“

Trainieren auf zwei Etagen

Geübt wird in den großen Praxisräumen des Skills Labs, das nach diversen Umzügen im Mai 2023 mit einer Fläche von etwa 200 Quadratmetern einen dauerhaften Standort im Erdgeschoss des Alten Universitätskrankenhauses in der Krankenhausstraße 12 gefunden hat. Trainiert wird meistens nicht aneinander wie beim Ultraschall, sondern an Übungsmaterialien aller Art: Oberkörpermodellen, die dabei helfen, Herz und Lunge abzuhören, urologischen Modellen, an denen das korrekte Abtasten der Prostata geübt werden kann, oder an künstlichen Armen und Händen, die auf schmalen Tischen darauf warten, dass an ihnen Blut abgenommen oder ein Zugang gelegt wird. „Bei uns ist alles auf Rollen oder in großen Koffern verstaut, damit wir schnell überall Übungsszenarien aufbauen können“, erläutert Anita Schmidt und tätschelt den Kunststoffarm einer lebensgroßen Übungspuppe, die den Namen Harvey trägt.

Der neue Sonografiekurs findet übrigens nicht direkt in der PERLE statt, sondern ein Stockwerk höher, im SimPatiK. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das vor sechs Jahren eröffnete Simulationspersonenkrankenhaus der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, das ebenfalls Teil des Skills Labs PERLE ist: vier Lehr- und Lernräume inklusive zweier vollständig ausgestatteter Simulationskrankenzimmer. SimPatiK-Leiterin Veronika Dannhardt-Thiem arbeitete selbst viele Jahre als Pflegefachkraft am Uniklinikum Erlangen, bevor sie sich zur Lehrkraft weiterqualifizierte und anschließend ein Psychologiestudium mit Masterabschluss absolvierte. „Für mich ist diese Aufgabe ideal, weil ich viel Praxiswissen mitbringe. Mit einem umfassenden Training bereite ich die Simulationspersonen auf ihre Rolle als Patientinnen und Patienten vor“, erklärt sie. „Dabei lernen sie, die Symptome, Beschwerden und Gefühle von kranken Menschen und deren Angehörigen authentisch darzustellen. Zusätzlich werden sie darin geschult, den Studierenden ein professionelles Feedback zu geben.“ Mit Dr. Schmidt arbeitet die SimPatiK-Leiterin eng zusammen und begleitet u. a. die Schulung der PERLE-Tutories.

Nachts im Skills Lab

Jedes Jahr im November herrscht eine Nacht lang Ausnahmezustand in der PERLE: Dann nämlich treffen sich 24 Medizinstudierende mit bestandenem Staatsexamen und 24 Pflegefachkräfte im dritten Ausbildungsjahr zur Skills Night – einer Simulationsnachtschicht, in der sie bis in den frühen Morgen miteinander üben, verschiedene Notfallszenarien zu bewältigen. „Die funktionierende Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen ist im Klinikalltag stets notwendig und sollte schon während der Ausbildung intensiv trainiert werden“, betont Dr. Schmidt. „Schon seit 2002 bieten wir deshalb interprofessionelle Kurse wie ‚Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden‘ oder ‚Anamnese und Übergabe‘ an.“

Wertvolle Erfahrung

Nathaly Escalante Chona und Benedikt Neuwirth arbeiten seit Oktober 2023 als Pflegefachkräfte in verschiedenen Bereichen der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. In ihrer Ausbildung nahmen sie am interprofessionellen PERLE-Kurs zur Versorgung chronischer Wunden teil und waren auch bei der Skills Night 2022 dabei. „Ich war völlig beeindruckt, mit wie viel Professionalität und praktischer Kompetenz die Studierenden in Notfallsimulationen reagieren konnten. Als wir noch gar nicht wussten, was zu tun ist, haben sie schon reagiert“, zeigt sich Benedikt Neuwirth immer noch begeistert. Auch seine Kollegin Nathaly Escalante Chona nahm von dem interprofessionellen Miteinander wertvolle Erfahrungen mit: „Wir konnten im Kurs ‚Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden‘ unglaublich gut voneinander lernen: Bei praktischen Übungen wie dem Umwickeln der Beine hatten zum Beispiel wir Pflegefachkräfte mehr Erfahrung und konnten Tipps geben. Dafür zeigten uns die Studierenden spezielle Drainagevarianten wie den Vakuumverband.“ Auch Medizinstudentin Nina Schönhals war beim Kurs dabei und bestätigt die Eindrücke: „Ich war total beeindruckt, wie viel Spezialwissen schon Pflege-Azubis etwa zum Druckgeschwür Dekubitus einbringen konnten; das Thema wird im Studium nur am Rand behandelt. Bei den Übungen zeigten sie uns, wo wir am besten die Finger auflegen oder noch einmal nachziehen können, damit der Verband korrekt sitzt.“ PERLE-Leiterin Anita Schmidt greift solche Rückmeldungen dankbar auf: „Wir arbeiten ständig daran, unser Kursangebot auszubauen und vor allem auch interprofessionelle Themen zusätzlich aufzunehmen, damit auch das Miteinander der verschiedenen Berufsgruppen von Anfang an praxisnah geübt werden kann.“

Text: Kerstin Bönisch/Uniklinikum Erlangen, Fotos: Michael Rabenstein/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: „Gesundheit erlangen“, Winter 2023/24