Einige Monate, nachdem er CAR-T-Zellen erhalten hat, spürt Stefan K. erste gesundheitliche Verbesserungen. Der Sklerodermie-Patient fühlt sich körperlich stärker. Allmählich kehrt er in einen normalen Alltag zurück.

„Die Philosophie der Kampfkunst hat mir mental immer geholfen.“
- Stefan K.

Die schwarze Silhouette eines Samurai hebt sich vom rosafarbenen Abendhimmel ab. Der Krieger hat sein Schwert erhoben. Links von ihm steht das Haus, in dem er lebt, rechts ein blühender Kirschbaum. Das Bild hat ein alter Freund für Stefan K. gemalt. „In dem Samurai sehe ich mich, in dem Haus meine Familie und in dem Kirschbaum mein Ich“, erklärt Stefan K. „Das Schwert ist gegen meine Krankheit gerichtet, sodass Haus und Baum verteidigt werden. Jahrzehntelang habe ich Selbstverteidigung trainiert und gelehrt. Jetzt wende ich sie gegen meine Krankheit an.“ Die ersten Siege hat der 56-Jährige bereits errungen. „Ich kann den Kopf wieder nach hinten neigen und ein Glas Wasser komplett leer trinken. Ich kann von einem Stuhl aufstehen, ohne mich abzudrücken, bin weniger müde und habe mehr Energie.“ Was für die meisten Menschen tägliche Selbstverständlichkeiten sind, betrachtet Stefan K. als große Fortschritte. „Wenn man einmal so tief war, ist man schon mit wenig zufrieden.“ Zeitweise war seine Haut so verdickt und gespannt, dass sie einfachste Bewegungen wie das Heben der Arme oder des Kopfes nicht mehr zuließ. Sklerodermie, auch Progressive Systemische Sklerose, heißt die gefährliche Autoimmunkrankheit, bei der sich unkontrolliert immer neues Bindegewebe bildet. Es verklebt und verhärtet die Haut, aber auch Lunge, Herz, Nieren und andere innere Organe, bis diese ihre Funktion teilweise oder sogar ganz verlieren. Die Blutgefäße werden geschädigt, Muskeln und Gelenke entzünden sich und schmerzen. „Das einzige Positive an dieser Krankheit ist vielleicht, dass ich durch mein straffes Gesicht viel jünger aussehe, als ich bin“, so Stefan K. „Aber darauf könnte ich verzichten.“

Angriff aus dem Nichts

Im März 2020 kribbelten Stefan K. in der Sauna plötzlich die Finger. „Dabei habe ich mir erst mal nichts gedacht“, schildert er. „Dann hatte ich beim Stehen Schmerzen in den Füßen. Irgendwann wurden meine Hände ganz dick.“ Vom Hausarzt wurde Stefan K. zum Rheumatologen geschickt, der die unerklärlichen Symptome schließlich einordnete. Sklerodermie hieß fortan der Gegner, der den bis dato gesunden und sportlichen Körper von Stefan K. auf brutale Weise angriff. Innerhalb eines halben Jahres rang die Krankheit Stefan K. nieder. Er verlor 15 Kilo Gewicht, war konstant auf die Hilfe seiner Frau angewiesen, konnte sich nicht mehr um seinen achtjährigen Sohn kümmern, wie er es wollte. Keine 50 Meter kam Stefan K. voran, ohne Luftnot zu bekommen. „Meine Lunge war mal mein Paradeorgan“, erinnert sich der Patient, der neben dem Kampfsport früher auch regelmäßig joggte und Rennrad fuhr. Auf dem Höhepunkt seiner Krankheit reichte die Kraft nicht mal mehr für einen Spaziergang: Die Leistung seiner Lunge sank auf 30 Prozent.

Letzte Chance: CAR-T-Zellen

Keines der Medikamente wirkte gut genug. Weder Blutverdünner, ACE-Hemmer oder Kortison noch ein Biologikum gegen die Autoimmunprozesse oder ein Mittel gegen die Vernarbungen in der Lunge. Stefan K., der mit seiner Familie im Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen lebt, bekam deshalb im September 2023 am Uniklinikum Erlangen eine Infusion mit CAR-T-Zellen. Damit war er der 100. Patient, den die Erlanger Ärztinnen und Ärzte auf diese Weise behandelten. CAR-T-Zellen sind eigentlich eine neuartige Immuntherapie gegen Krebs. Als Medikament zugelassen sind sie deshalb aktuell nur für bestimmte Leukämieformen und Lymphdrüsenkrebs sowie für das Multiple Myelom – eine bösartige Knochenmarkserkrankung. Doch im Rahmen von Studien setzen Ärztinnen und Ärzte die Zellen auch gegen Autoimmunerkrankungen wie die Sklerodermie ein. Um eine individuelle Infusion herzustellen, werden der Patientin bzw. dem Patienten zunächst eigene Immunzellen (T-Lymphozyten) entnommen und gentechnisch mit einer „Spezialbrille“ ausgestattet, die schädliche Zellen erkennt. Diese Brille ist der chimäre Antigenrezeptor, kurz CAR. Die umprogrammierten T-Zellen werden der bzw. dem Betroffenen anschließend zurückgegeben. Sie docken an bösartige Zellen an und zerstören sie. „Wir haben in den vergangenen Jahren beobachtet, dass CAR-T-Zellen aber nicht nur Krebszellen attackieren, sondern auch fehlgeleitete Immunzellen, die Autoantikörper gegen den eigenen Organismus produzieren“, erklärt Prof. Dr. Andreas Mackensen, Direktor der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie des Uniklinikums Erlangen. „Wir setzen CAR-T-Zellen deshalb auch zu nehmend gegen Autoimmunerkrankungen ein und haben damit schon beeindruckende therapeutische Erfolge erzielt“, ergänzt Dr. med. univ. Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uniklinikums Erlangen. Die Teams der Medizin 3 und der Medizin 5 betreuen Stefan K. gemeinsam.

Vier Monate danach

„Es geht in die richtige Richtung und ich hoffe, dass es weiter besser wird“, berichtet Stefan K. heute, im Januar 2024 – knapp vier Monate nach der CAR-T-Zell-Behandlung. „Ich merke bei alltäglichen Tätigkeiten, dass sie mir viel leichter fallen. Mein Allgemeinzustand, die Erschöpfung und meine Aufmerksamkeit sind besser geworden. Ich habe auch wieder mehr Appetit und schon etwas zugenommen. Mir schmecken wieder Dinge, die ich zu Hochzeiten der Krankheit gar nicht mochte. Auch das Treppensteigen ist einfacher“, zählt er auf. Ende Januar will der Ausbildungsmeister, der Lehrlinge im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk betreut, zurück an seinen Arbeitsplatz. „Mir macht mein Beruf Spaß, ich freue mich darauf. Ich mache deshalb auch kein Eingliederungsprogramm, sondern starte gleich wieder voll.“ Die Krankheit hat seine Finger- und Handgelenke deformiert, nicht aber seine Psyche. „Die Philosophie der Kampfkunst hat mir mental immer geholfen“, sagt Stefan K. Etwas Schattenboxen geht schon, „aber ich kann die Fäuste noch nicht ballen. Dank meiner Ergotherapeutin ist aber vor allem die linke Hand schon wieder viel beweglicher.“ In der Medizin 3 des Uniklinikums Erlangen untersucht heute Dr. Christina Bergmann die feinsten Blutgefäße in den Fingern von Stefan K. „Bei Sklerodermie tritt häufig das Raynaudphänomen auf – eine unangenehme Durchblutungsstörung der Finger“, erklärt die Ärztin (s. Kasten). „Unter dem Mikroskop sehen wir dann, dass die Kapillaren im Nagelfalz erweitert sind. Später treten Mikroblutungen auf, bis hin zur Zerstörung der kleinsten Gefäße.“ Das Gute: Aktuell kann Dr. Bergmann keine neuen Veränderungen bei Stefan K. feststellen. Anschließend begutachtet die Ärztin noch die Arme und Beine ihres Patienten und prüft, ob die Haut dort noch hart oder schon geschmeidiger und beweglicher ist als vor der Therapie. „Die Arme sind weicher geworden“, bestätigt der Untersuchte.

Auch Oberarzt PD Dr. Fabian Müller, Leiter der CAR-T-Zell-Einheit der Medizin 5, sieht positive Entwicklungen bei Stefan K.: „Schon nach der vorbereitenden Chemotherapie, die Platz für die CAR-T-Zellen geschaffen hat, ging es dem Patienten besser, seine Gelenkschmerzen und Hautläsionen klangen ab. Anschließend haben unsere CAR-T-Zellen getan, was sie tun sollten: fehlgeleitete B-Zellen eliminieren. In der nuklearmedizinischen Bildgebung sehen wir knapp 16 Wochen nach der Therapie deutlich weniger aktivierte Bindegewebszellen – die sind typisch für die Systemische Sklerose.“

„Das Leben davor war keine Option“

Ob Stefan K. die CAR-T-Zell-Therapie noch einmal machen würde? „Auf jeden Fall. Das Leben, das ich hatte, war keine Option. Iron Man mache ich nicht mehr, das habe ich mir abgeschminkt“, sagt er und lacht, „aber ich überlege, wie ich das mit dem Kampfsport und dem Bogenschießen gestalte – vielleicht mit einer Schiene für mein Handgelenk, damit ich den Bogen stabil halten kann.“ In seiner Freizeit schnitzt Stefan K. selbst Bögen, fertigt Taschenmesser und andere Werkzeuge. Lange Wochen hat er isoliert von anderen Menschen verbracht, um sich vor Infektionen zu schützen und wieder zu Kräften zu kommen. Dass er nun endlich wieder nach draußen kann, unter anderem in den Baumarkt, um sich dort seine Materialien zu besorgen, gibt ihm neuen Auftrieb. „Im Moment bastele ich an einer indianischen Kugelkopfkeule. Die ist verwandt mit dem Tomahawk. Mal sehen, wie die wird.“ Ein Samuraischwert hat Stefan K. ja bereits – schwarz auf rosa, und jederzeit griffbereit in seinem Kopf.

Text: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; Fotos: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen, Samurai-Illustration: generiert mit Midjourney von Franziska Männel; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Frühling 2024